Stellungnahme des Vorstandes der Österreichischen Gesellschaft für Geriatrie und Gerontologie
- Die frührehabilitative Versorgung geriatrischen Patient*innen nach einer überstandenen COVID 19 Infektion muss zeitnah geplant werden, um die primär-versorgenden Einrichtungen zu entlasten und eine zeitnahe Rückkehr in die häusliche Versorgung oder in eine geschützte Pflegeinstitution zu ermöglichen.
Für diese Herausforderung sieht die ÖGGG die vorrangige Schlüsselfunktion bei den Abteilungen für Akutgeriatrie.
- Auch sind die Akutgeriatrien angehalten, ihren ureigenen Versorgungsauftrag für die Behandlung der nicht an COVID 19 erkrankten multimorbiden geriatrischen Patient*innenweiterhin zu erfüllen. Hierfür wird aufgrund einer potentiellen Infektionsrisikosituation dieser vulnerablen Patientengruppe eine verschärfte Umsetzung von Hygienemaßnahmen bei allen Therapieprofessionen und, wenn möglich, eine räumliche/personelle Trennung von Verdachtsfällen empfohlen.
- Die Unterstützung von mobilen Pflegediensten, pflegenden Angehörigen und Laienhelfern (24-Stunden Betreuer*innen) soll von geriatrischen Ambulanzen/Ärzten*innen in Geriatrieeinrichtungen und Hausärzt*innen mit Geriatrie-Diplom über Telefon oder Skype/WhatsApp/… Telefonie beratend engmaschig unterstützt werden. Insbesonders gerontopsychiatrische Patient*innen stellen hier eine besondere Herausforderung in der Versorgung dar.
Geriatrische Unterstützungsangebote sollen auf regionaler Ebene auch mit den Trägern von Rehabiliationseinrichtungen koordiniert werden, wenn diese Reha-Kliniken geriatrische, multimorbide -im Besonderen -Patienten/Patientinnen mit Demenz von zu Hause bei Wegfall der 24Stunden Betreuer*innen , aufzunehmen und zu betreuen haben.
Rehabilitation soll vorrangig im häuslichen Umfeld stattfinden. Zugang zu Rehabilitation, Therapie und Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige sollen gewährleistet werden, auch hier unter Beachtung der Schutzmaßnahmen für Personal. Tele-Rehabilitation soll raschest ermöglicht werden.
- Eine große Herausforderung ist die Betreuung der geriatrischen Bewohner*innen in Langzeit-Pflegeeinrichtungen. Hier steht die Schutzaufgabe der Institutionen vor Infektionen an erster Stelle. Hierfür sind die Hygienemaßnahmen stark zu fokusieren, sowohl durch Schulung/Information der Basishygiene und Selbstschutzmaßnahmen, als auch die vermehrte Ausstattung mit geeigneter Ausrüstung (Schutzkleidung/Masken und räumlichen Isoliereinheiten). Diese Ressourcen sind sowohl von den Trägereinrichtungen als auch von den behördlichen Institutionen zur Verfügung zu stellen. Klare Vorgehensweisen bei Verdachtsfällen sollten an allen Mitarbeiter*innen kommuniziert werden.
- Die Österreichische Gesellschaft für Geriatrie und Gerontologie betont ausdrücklich, dass die älteren Mitbürger*innen im österreichischen Gesundheitssystem besonders geschützt und behandelt werden sollten. Niemand wird in dieser außerordentlichen Pandemie aufgrund seines Alters zurückgelassen oder nicht behandelt. Es ist jedoch eine ethische Herausforderung, multimorbide Menschen möglichst zielgerichtet zu therapieren. Eine klare Therapiezieleformulierung ist im Vorfeld zu erheben und zu dokumentieren. Advanced care planning hat jetzt eine besondere Aktualität erhalten, da dies Ärzt*innen bei Entscheidungsfindungsprozessen in der akutmedizinischen Versorgung unterstützt.
- Palliative Care für alte und gebrechliche Menschen in Langzeiteinrichtungen (Pflegeheimen):
Wenn in einer vorausschauenden Planung aufgrund des Patient*innenwillens, der Multimorbidität, Gebrechlichkeit und Hochaltrigkeit ein palliativmedizinisches Therapieziel formuliert wurde, so ist ein Transfer in ein Akutspital dennoch abzuwägen, wenn kein ausreichender Schutz der anderen Bewohner*innen in der Kohorte ermöglicht werden kann (beispielsweise aufgrund fehlender Schutzmaßnahmen). Es wird betont, dass die palliative symptomenkontrollierende Behandlung überall gewährleistet sein muss und indiziert ist. Palliative Care in der Geriatrie bedeutet nicht, eine (intensivmedizinische) Therapie zu verweigern, sondern aufgrund der fehlenden ‚Nützlichkeit‘ für den Betroffenen eine intensive pflegerische-medizinische-psychologische und spirituelle Begleitung als Grundhaltung den Menschen und deren Angehörigen gegenüber zu ermöglichen.
Link: https://www.palliative-geriatrie.de/fileadmin/downloads/FGPG/FGPG-Empfehlungen_zur_Betreuung_betagter_und_gebrechlicher_Menschen_im_Kontext_Covid_19_20200322.pdf
- Auf einen sensibleren sprachlichen Umgang in den Medien und medizinischen Berichten ist zu achten. Altersdiskriminierende Äußerungen müssen vermieden werden.
- „Social Distancing“ ist für alte Menschen belastend und gefährdend, weshalb stärker von räumlicher und nicht sozialer Distanz gesprochen werden sollte.
Stellungnahme des Exekutivvorstandes der European Geriatric Medicine Society (EuGMS) zur COVID-19 Epidemie
EUGMS. (2020). STATEMENT of the EuGMS Executive Board on the COVID-19 epidemic. Retrieved from https://www.eugms.org/news/read/article/489.html on 26 03 2020
Übersetzung: Thomas Frühwald und Verena C. Tatzer
Obwohl kein Zusammenhang zwischen dem Alter und der Wahrscheinlichkeit, sich mit dem Coronavirus (COVID-19) zu infizieren besteht, haben ältere Erwachsene ein viel höheres Risiko durch diese Infektion ernsthafte Komplikationen zu entwickeln. Aktuelle Analysen zeigen, dass die Sterblichkeitsrate bei infizierten Personen über 80 Jahren bei etwa 15% liegt, während sie bei Menschen im Alter unter 50 Jahren weniger als 0,5% beträgt. Aus diesem Grund sollten medizinische und gesundheitspolitische Entscheidungsträger*innen älteren Erwachsenen, insbesondere den vulnerabelsten, gebrechlichen (frail) unter ihnen, strenge Präventivmaßnahmen anbieten, um das Infektionsrisiko zu minimieren (siehe https://www.cdc.gov/coronavirus/2019-ncov/specific-groups/high-risk-complications.html).
Die Stellungnahme des Exekutivvorstands der EuGMS zielt darauf ab, einige zusätzliche Aspekte der möglichen Folgen des Coronavirus-Ausbruchs bei älteren Erwachsenen aufzuzeigen:
• Diejenigen, die ein höheres Risiko haben, erhalten oft tägliche Unterstützung durch Familienangehörige oder Betreuer*innen. Diese können potenzielle COVID-19 Überträger*innen sein. Es ist wichtig, dass das betroffene Pflegepersonal (im häuslichen Umfeld oder in Pflegeheimen) (i) auf der Grundlage von Best-Practice-Leitlinien der nationalen Gesundheitsbehörden oder der WHO (sie aktualisiert ständig ihre Leitlinien) geschult (ii) und mit angemessenen antiseptischen Maßnahmen unterstützt wird sowie (iii) bei eigenem Unwohlsein Krankengeld erhält.
• Es ist wichtig, den durch COVID-19 infizierten Menschen die optimale medizinische Behandlung entsprechend der Schwere der Krankheit und der Kapazität des Gesundheitssystems des Landes anzubieten. Fortgeschrittenes Alter allein sollte kein Kriterium für den Ausschluss einer Aufnahme in spezialisierte Krankenhausabteilungen sein.
• Beim aktuellen Ausbruch des Coronavirus kann es zu einer nachvollziehbaren Verzögerung der Entlassung von älteren Menschen aus der Akutversorgung in die Rehabilitations- bzw. Nachsorgeeinrichtungen kommen. Obwohl dies angesichts der Tatsache, dass die Rehabilitations-/Post-Akut-Versorgungseinheiten sicher sein wollen, dass der/die Patient*in nicht infiziert ist verständlich ist, führt dies zu längeren Krankenhausaufenthalten mit einem erhöhten Risiko für dabei entstehende iatrogene Folgen. Wir sollten daher für die aus der Akutversorgung entlassenen Patient*innen alle notwendigen Anstrengungen unternehmen um vermehrt Rehabilitation im häuslichen Umfeld anzubieten.
• Die gegenwärtige Situation zeigt auf dramatische Weise, wie sehr dieses große Gesundheitsproblem uns alle betrifft, unabhängig von Nationalität, ethnischer Zugehörigkeit, Konfession, Kultur und sozialem Status. Sie macht auch deutlich, dass nur koordinierte, gemeinsame Anstrengungen angemessene Lösungen bieten können. In dieser Absicht ist die EuGMS entschlossen, sich den Bemühungen die am stärksten gefährdeten Personen vor dieser Epidemie zu schützen, anzuschließen.
• Deshalb werden wir mit den nationalen geriatrischen und anderen medizinischen Fachgesellschaften in ganz Europa zusammenarbeiten, um gemeinsame Aktionen in allen Bereichen im Zusammenhang mit der COVID-19-Epidemie bei älteren Erwachsenen (Prävention, Behandlung, Pflege und Betreuung) durchzuführen. Wir haben auch beschlossen, auf unserer Website einen Raum zu schaffen, in dem Sie mit Expert*innen im Bereich der Altersmedizin über alle Fragen zu den Auswirkungen des Coronavirus bei älteren Menschen in Englischer Sprache diskutieren können. Sie finden den Link unter http://www.eugms.org.
Weiters können Sie über die Emailadresse covid19taskforce@eugms.org direkt Kontakt mit unserer Europäischen Dachgesellschaft aufnehmen.
Die ÖGGG schließt sich dieser Stellungnahme voll inhaltlich an.
Der Vorstand der Österreichischen Gesellschaft für Geriatrie (ÖGGG)
Univ.-Prof. Dr. Regina Roller-Wirnsberger
Präsidentin der ÖGGG
Prim. Dr. Peter Dovjak
Univ.-Prof. Dr. Christoph Gisinger
Univ.-Prof. Dr. Franz Kolland
Prim. Prof. Dr. Katharina Pils
Dr. Verena C. Tatzer, MSc.
Unter Mitarbeit von Prim. Dr. Erwin Pilgram
Prim. Univ.-Prof. Dr. Marcus Köller
Präsident-elect der ÖGGG
Prof. Dr. Thomas Frühwald
Prim. Dr. Athe Grafinger, MSc
Prim. Univ.-Prof. Dr. Monika Lechleitner
Prim. Dr. Georg Pinter
Univ.-Prof. Dr. Peter Pietschmann